Gorham Munson über Gurdjieff´s Allegorie "All und Alles"


Dies Buch ist eine Bilderstürmerei von großer Tragweite, neben der Nietzsches Umwertung aller Werte provinziell anmutet. Der Autor will, wie er selbst sagt, »in der Gedanken- und Gefühlswelt des Lesers so gnaden- und kompromißlos wie möglich alle Glaubensvorstellungen und Meinungen ausrotten, die sich dort über alles, was es in der Welt gibt, eingegraben haben«. 

Gleich zu Anfang dieser Geschichte entdeckt man voller Überraschung, daß ihr Held niemand anderes ist als der Teufel, die prophetische Gottheit des Alten Testaments, der Dämonenfürst der alten Evangelisten. In All und Alles tritt der auf dem Planeten »Karatas« geborene Teufel auf der eigentlichen Weltsonne in den Dienst der Unendlichkeit; und dort glaubt er im Gang des Universums einiges feststellen zu können, was »unlogisch« ist. Er ist jung, hitzig und aufsässig, und er versucht, in die Ordnung der Dinge einzugreifen; zur Strafe für diesen unseligen Versuch wird er in ein fernes Sonnensystem, in das unsrige, verbannt. Er erwirbt sich auf Mars, Saturn und Erde so viele Verdienste, daß er von der Unendlichkeit begnadigt wird, die ihm gestattet, auf seinen Heimatplaneten zurückzukehren. 

Wir begegnen ihm in einem Raumschiff, das nach Karatas unterwegs ist. Zum Zeitvertreib erzählt er unterwegs seinem Enkel Hassein von seinen sechs Besuchen drunten auf der Erde. Sein erstes Auftreten auf der Erde fiel in die Zeit der atlantischen Kultur, das letzte führt ihn 1921 nach Amerika.

Dieser Teufel ist eine bemerkenswerte Schöpfung, denn ihm ist eine Weltschau kosmischen Ausmaßes und eine geschichtliche Sicht verliehen, die fast über die menschlichen Ursprünge hinausreicht. Der Teufel spricht über die menschlichen Gemeinwesen wie ein weitgereister Pariser über afrikanische Dörfer. Und seine Geschichtskenntnis geht so weit zurück, daß sie um einen Zusammenprall weiß, bei dem zwei Teile von der Erde abgespalten wurden: der Mond und ein weiterer, den Astronomen unbekannter Satellit. Übrigens ist der Teufel ein prachtvoller Erzähler, er übertrifft noch Scheherazade.

Er geht so gut wie alles durch, was den menschlichen Geist im  Laufe von Jahrhunderten bewegt hat. Hier nur eine unvollständige  Zusammenstellung der Themen, über die er sich zur Richtschnur für seinen Enkel verbreitet: 

die Zivilisationen jenseits der Wüste Gobi; 

die durch die buddhistische Lehre verursachten Verbiegungen;

die eigentliche Bedeutung des Abendmahls; 

die Ehrenrettung des Judas; 

die geheime Bedeutung der Architektur von Mont Saint-Michel; 

das Perpetuum mobile; 

die Mysterien der Elektrizität;

die bolschewistischen Aufstände im alten Ägypten; 

das Rätsel der Sphinx;

die Vielweiberei in Persien; 

die objektive Musik, die einen Furunkel vom Bein eines Menschen verschwinden läßt;

die Verfolgung Mesmers;

die bösen Folgen der englischen Sportbegeisterung und der amerikanischen Ernährung;

das Erlebnis der Leere auf dem Saturn, 

und wie es Leonardo da Vinci gelang, fast alle Geheimnisse der objektiven Kunst zu entdecken.

Wenn man All und Alles liest, entdeckt man rasch, daß es sich um eine Allegorie ungewöhnlicher Art handelt. Das ihm am nächsten stehende Werk wäre meines Erachtens The Tale of a Tub von Swift. Aber wo steckt der Schlüssel zu dieser Allegorie? Der Verfasser liefert ihn in einem Epilog, in dem er den Menschen wie ein mechanisches Wesen beschreibt, das ohne wahre Freiheit ist, aber nichtsdestoweniger dank einer besonderen Erziehung seine »drei Gehirne« in Einklang bringen kann und zu Willen und Initiative fähig ist.

Man darf voraussagen, daß All und Alles zunächst wenig Aufsehen erregen, daß man dieses Buch sogar als unverdaulich empfinden wird, daß es sich aber im Laufe der Zeit durchsetzen, eine immer größere Leserschaft beschäftigen und eine umfangreiche Auslegung veranlassen wird.

Gorham Munson - Beelzebubs Tales in Gurdjieff´s All and Everything

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